Rückblick auf die Vorlesungen des Schriftstellers und Übersetzers Aris Fioretos. Überraschungsgast beim abschließenden Begleitworkshop
Ein Novum der Frankfurter Poetikvorlesungen: Ein Schriftsteller, der seinen Vorlesungstext nicht auf Deutsch verfasst, wenngleich aber auf Deutsch vorträgt: Einer der Aspekte, der auch auf dem Begleitworkshop thematisiert wurde, an dem Fioretos selber teilnahm.
Aris Fioretos ist für seine Vielsprachigkeit bekannt: Deutsch war seine erste Sprache, über die aus Österreich stammende Mutter vermittelt; in Schweden ist er aufgewachsen, seine Wurzeln väterlicherseits sind aber Griechisch. Gelehrt und geforscht hat er unter anderem in den USA, er übersetzt selber auch ins Schwedische. „Auch wenn ich mich geografisch nirgendwo wirklich beheimatet fühle, bin ich an vielen Orten zu Hause“, sagte Fioretos im Interview mit dem UniReport.
Nahezu akzentfrei hielt Fioretos seine drei Vorträge an der Goethe-Universität, die mit „Solarplexus – über einen Schriftsteller und seinen Körper“ überschrieben waren.
Fioretos ging in einem assoziativen, aber immer gut zu folgenden Gedankenstrom der Körperlichkeit des Schreibens nach, Bezugspunkt war dabei der Solarplexus, das Sonnengeflecht des Körpers, als Teil des vegetativen Nervensystems.
Der 1960 in Göteborg geborene Fioretos, der schreibt, übersetzt und sich auch gerne mit poetologischen Fragen auseinandersetzt, griff in seinen Vorträgen einige berühmte Bilder wie Rembrandts „Anatomie des Dr. Tulp“ auf, um mit interessanten Interpretationen und Beobachtungen über Umwege auch über sich zu sprechen. So heißt der von Rembrandt gemalte Tote eigentlich Aris.
Die Sinnlichkeit von Namen ist für Fioretos, der in einem Land geboren wurde, in dem die Jungen klassischerweise eher Björn oder Sven als Aris heißen, ein faszinierendes Thema. Nach der ersten Vorlesung über „Verlangen“ beschäftigte er sich in der zweiten mit „Hunger“, in der dritten und letzten schließlich mit „Elektrizität“.
Bei seinem jüngsten Roman „Die dünnen Götter“, Anfang des Jahres in einer deutschen Übersetzung erschienen, hat er sich, wie er beschrieb, von der amerikanischen Band Television inspirieren lassen. Deren Kopf, der kürzlich verstorbene charismatische Gitarrist und Sänger Tom Verlaine, habe mit seiner Musik etwas anderes kreieren wollen als die vielen Vertreter der in den 70er Jahren zum Mainstream mutierenden Rockmusik. Um die Ausnahmestellung der Band zu verdeutlichen, spielte Fioretos dem Publikum das erste Stück der Band, das eher jazzig anmutende „Little Johnny Jewel“, vor, um auf seine Rezeption als 16-Jähriger zu sprechen zu kommen.
Ob der Held des Romans „Die dünnen Götter“, Ache Middler, wirklich ein literarischer Wiedergänger des realen Tom Verlaine ist, ließ Fioretos offen. Bei Middler spielen sich die Ekstasen eher in seinem Kopf ab; in der Beschreibung seines Erfinders erscheint er als Grenzgänger und Innovator von Musik, der lieber hinter seinem Werk verschwinden möchte.
Darin steckt sicherlich ein poetologisches Prinzip seines Schöpfers: Auch Aris Fioretos ist der literarische Biographismus, die zunehmende Ineinssetzung von Schöpfer und Werk in der heutigen Literatur, suspekt.
Durs Grünbein besucht Begleitworkshop
Nach Vorträgen von Barbara Naumann (Zürich) und Christian Metz (Aachen) stand am Ende des Begleitworkshops, der von dem Komparatisten Achim Geisenhanslüke (Goethe-Universität) moderiert wurde, ein Gespräch zwischen Übersetzern und Schriftsteller(n) an: Mit in die Runde kam nämlich Fioretos’ Freund und Kollege Durs Grünbein, der im Wintersemester 2009/2010 selber die Poetikdozentur an der Goethe-Universität bekleidet hatte.
Achim Geisenhanslüke fragte einleitend Paul Berf, der zahlreiche Texte Fioretos’ ins Deutsche übertragen hat, was für ihn das Besonders an der Literatur des Schweden sei. „Er macht es dem Übersetzer leicht, weil er gut schreibt. Auch wenn seine Bücher im Ton sehr unterschiedlich sind, muss man nicht rätseln, was und wie er es sagen möchte“, betonte Berf. Und an Aris Fioretos gerichtet hakte Geisenhanslüke nach, ob das Zusammenspiel mit seinem Übersetzer ungewöhnlich sei, weil er selber übersetze. „Paul Berf ist für mich ein verus amicus, ein wahrer Freund, mit dem ich mich sehr gut austauschen kann. Ich übersetze nur Texte, die ich selber gerne geschrieben hätte, Übersetzung ist für mich also keine Berufsarbeit in dem Sinne.“
Mit seinem Dichterfreund Durs Grünbein verbindet Fioretos das große Interesse an poetologischen Fragestellungen. Das gemeinsame Buch „Verabredungen“ enthält Texte über Gespräche an ganz unterschiedlichen Orten, die aufgezeichnet wurden. Teilweise basieren die Dialoge auch auf asynchroner Kommunikation via Postkarten. „Aris Fioretos ist für mich ein Mensch der Vielsprachigkeit“, betonte Grünbein, was nach Einschätzung des Beschriebenen zugleich ein Zuviel und ein Zuwenig sei. „Diese Differenzerfahrung ist vielleicht der Nucleus meiner Arbeit“, so Fioretos. Literarische Sprache erschöpfe sich nicht im Semantischen, sondern spreche auch die Sinne an, sei manchmal förmlich zu „riechen“, habe ein bestimmtes Aussehen und Farbe.
Hans Jürgen Balmes, Übersetzer, Lektor und Herausgeber, sieht Fioretos als einen „besseren Freund der deutschen Literatur“: Er betrachte die deutsche Literatur unvoreingenommener und unbefangener, mit viel Nähe und Liebe. In seinen Prosawerken zeige sich eine Raffinesse, wie man sie vielleicht früher bei einem Autor wie Alain Robbe-Grillet gefunden hätte.
Moderator Achim Geisenhanslüke kam dann auf einen wichtigen Aspekt der aktuellen Poetikdozentur zu sprechen: Dass jemand zwar nicht auf Deutsch schreibe, aber dennoch seine Vorträge auf Deutsch halte, stelle etwas Besonders dar. Für die Frankfurter Poetikvorlesungen, so der Eindruck vieler Beobachter, war Fioretos’ literarische Vielsprachigkeit sicherlich ein Glücksfall.
Source: Aktuelles