Die von Israel genannte Frist, den nördlichem Gazastreifens zu verlassen, ist abgelaufen. Doch weder Israel noch die palästinensische Seite haben bisher eine Erklärung vorgelegt. Die UN warnt vor einer humanitären Katastrophe.
In Erwartung einer israelischen Bodenoffensive haben am Samstag im Gazastreifen Menschen scharenweise versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Zehntausende Palästinenser flohen nach Einschätzung der Vereinten Nationen in den Süden des abgeriegelten Küstengebiets. Zuvor hatte Israel die Bevölkerung dazu aufgefordert, binnen 24 Stunden den nördlichen Teil zu verlassen.
Nach dem Ablauf der Frist am Nachmittag gab es weder von israelischer noch palästinensischer Seite eine Erklärung. Israel veröffentlichte ein Video von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, das ihn beim Truppenbesuch am Gazastreifen zeigen soll. Den Soldaten sagte er demnach: „Die nächste Phase kommt.“
Erste Vorstöße am Boden
Israel hatte nach dem Überraschungsangriff der radikal-islamischen Hamas vergangene Woche den Gazastreifen komplett abgeriegelt und die Armee an der Grenze zusammengezogen. Am Freitag unternahmen Bodentruppen nach Angaben des israelischen Militärs erste, begrenzte Vorstöße. Unterstützt von Panzern griffen sie demnach palästinensische Raketenstellungen an und versuchten, Informationen über den Aufenthaltsort von Geiseln zu erhalten, die von den Islamisten verschleppt worden waren.
Unter ihnen befinden sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes „acht Fälle mit Bezug zu deutschen Staatsangehörigen“. Außenministerin Annalena Baerbock forderte in Kairo die Hamas auf, alle Geiseln unverzüglich freizulassen. Es handle sich um unschuldige Menschen. „Die Freilassung ist ein Gebot der.
Neun der Geiseln sind nach Darstellung der Hamas bei den anhaltenden israelischen Luftangriffen ums Leben gekommen. Darunter seien auch vier Ausländer, teilen die Al-Kassam-Brigaden auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. Insgesamt sollen nach palästinensischen Angaben mehr als 2200 Menschen im Gazastreifen getötet worden sein. Aus dem Küstenstreifen wurden weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert, wo auch am Samstag Luftalarm ausgelöst wurde. Geschosse gingen unter anderem in Aschkelon nieder. Auf israelischer Seite wurde die Zahl der Toten seit dem Beginn des Konflikts mit etwa 1300 angegeben.
UN-Hilfswerk: Räumung des Nordens unmöglich
Im Gazastreifen leben etwa 2,3 Millionen Palästinenser, die Region ist einer der am dichtesten besiedelten Orte der Welt. Im Norden, wo Israel die Räumung angeordnet hat, liegt Gaza-Stadt mit etwa einer Millionen Menschen. Die von Israel geforderte Räumung war aus Sicht des Hilfswerks der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) und zahlreicher Experten nicht umsetzbar. Die UN und mehrere Hilfsorganisationen warnten vor einer Katastrophe.
Die USA riefen ihre Bürger im Gazastreifen auf, zum Grenzübergang Rafah im Süden zu gehen. Sie sollten sich bereit halten, dort nach Ägypten auszureisen, teilte das US-Außenministerium mit. Es könne sein, dass der Grenzübergang Rafah sehr kurzfristig und nur für eine begrenzte Zeit für Ausländer geöffnet werde.
Ägypten hat es wie bereits in früheren Konflikten abgelehnt, einen humanitären Korridor für die Ausreise über seine Grenze zum Gazastreifen zu öffnen. Die Türkei, die sich als Vermittlerin angeboten hat, lehnte ebenfalls eine Ausreise der Palästinenser aus dem Gazastreifen ab. Darin sei man sich mit Ägypten einig, sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan, der sich in Ägypten aufhielt. Am späten Nachmittag erteilte auch Hamas-Chef Ismail Hanijeh dem eine Absage. „Unsere Entscheidung ist es, in unserem Land zu bleiben“, sagte er an die Adresse von Ägypten gerichtet.
Angesichts der zunehmend verzweifelten Lage für die Bevölkerung im Gazastreifen bemühten sich mehrere Seiten um humanitäre Hilfe. Man sei im Gespräch mit den Regierungen von Israel, Ägypten und Jordanien sowie mit den Vereinten Nationen, erklärte US-Präsident Joe Biden. Ziel sei es, die Bedingungen zu schaffen, damit der Fluss solcher Hilfe fortgesetzt werden könne und das Kriegsrecht aufrechterhalten werde.
„Den Menschen in Gaza fehlt es gerade an allem“, sagte Baerbock. UN-Generalsekretär Antonio Guterres erklärte: „Wir brauchen sofortigen Zugang für humanitäre Hilfe im gesamten Gazastreifen, damit wir alle Bedürftigen mit Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser versorgen können. Selbst Kriege haben Regeln.“
Quelle : faz