Schon seit Jahren soll das Beschaffungsamt der Bundeswehr entbürokratisiert und verschlankt werden. Passiert ist bislang nichts. Die Behörde arbeitet so langsam wie eh und je. Woran liegt das?
Ein Expertenrat sollte schon 2019 Vorschläge für eine Reform des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) erarbeiten. Hintergrund war “die veränderte sicherheitspolitische Lage und die daraus hervorgehenden erhöhten Anforderungen an die Streitkräfte”. Der Rat kam zu dem Schluss, die größte technische Behörde Deutschlands sei “sehr groß, sehr komplex und in seiner Aufgabenvielfalt nicht stringent steuerbar”.
Im Abschlusspapier standen zahlreiche Vorschläge für die Verschlankung und Entbürokratisierung der Behörde. Doch der damalige Koalitionspartner SPD wollte eine Reform zu diesem Zeitpunkt so nicht mittragen, und der Verband der Beamten und Beschäftigten der Bundeswehr (VBB) kritisierte die Zusammensetzung des Expertenrates als zu fachfremd. Am Ende passierte nichts.
Reinhard Brandl, Verteidigungsexperte der CSU saß in dem Expertenrat und ist heute noch ungehalten über das Aussitzen längst erkannter Probleme. Er sagt: “Die Situation heute ist noch viel dramatischer als 2019, da die Sicherheitslage einen noch viel größeren Bedarf an Beschaffungen notwendig macht. Man kippt jetzt in ein eh schon überlastetes Amt 100 Milliarden Euro mehr rein und hofft, dass allein damit die Beamten schneller und besser arbeiten. Das wird nicht funktionieren.”
Im Rahmen der Gesetze und Aufträge
Die Kritik an der Langsamkeit des Amtes reißt seit Jahren nicht ab, doch die Regeln für die Beschaffung haben Politiker gemacht – die gleichen Politiker zum Teil, die jetzt sagen, alles dauere zu lange. Ein Sprecher des BAAINBw kommentiert die Sündenbockfunktion seiner Behörde so: “Die Beschaffung des Materials für die Bundeswehr ist eine höchst komplexe Aufgabe, an der viele Stellen innerhalb der Bundeswehr, aber auch die jeweiligen Auftragnehmer beteiligt sind. Da das BAAINBw als Managementorganisation für die Projektrealisierung die Stelle ist, die im Außenverhältnis agiert, verkürzt sich Kritik oft auf das Amt, ohne die Kausalität im Einzelfall zu hinterfragen.” Hinzu kommt, dass alle Aufträge mit einem Wert von mehr als 25 Millionen Euro vom Bundestag genehmigt werden müssen.
Ebenfalls genehmigt haben die Abgeordneten im vorigen Sommer das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz – ein langes Wort für kurze Wege – das “Möglichkeiten enthält, Vergabeverfahren zu beschleunigen, die, wo immer es möglich ist, auch genutzt werden”, so der Behördensprecher. Es beträfe die Lieferung und Instandhaltung von Militärausrüstung und enthalte Erleichterungen bei gemeinsamer europäischer Beschaffung, “was im Ergebnis zu einer verbesserten Interoperabilität bei der Ausrüstung der Streitkräfte der einzelnen Länder führen kann”.
Bundeswehr im Modus der “Mangelverwaltung”
In seiner Regierungserklärung Anfang März sagte Bundeskanzler Scholz, “wir machen Schluss mit der Vernachlässigung der Bundeswehr”. Damit war auch die schnelle Durchsetzung des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro gemeint. Tatsächlich ist das viele Geld bis heute nahezu unangetastet.
Dass bisher noch so wenige Aufträge bei der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie angekommen sind, hing im Wesentlichen damit zusammen, dass die Bundeswehr im vergangenen Jahr trotz des zugesagten Sondervermögens von 100 Milliarden Euro noch nicht aus dem Modus der “Mangelverwaltung” herausfinden konnte, meint Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.
Das werde erst gelingen, wenn auch der reguläre Verteidigungsetat auf mindestens zehn Milliarden Euro erhöht würde. Das Sondervermögen diene lediglich dazu, überfälliger Großprojekte zur Realisierung zu verhelfen, zur Deckung laufender Bedarfe, vor allem bei Munition und Ersatzteilen, reiche es nicht aus. Hier brauche die Industrie feste Zusagen vom neuen Verteidigungsminister für die Planungssicherheit.
“Ein regulatorischer Verhau”
Für Atzpodien sind die bloßen Verweise auf Vergaberegeln und gegenseitige Schuldzuweisungen nicht zielführend. “Nach geltendem Vergaberecht hätten Beschleunigungsmaßnahmen unter den Gegebenheiten des Ukraine-Krieges auch ohne Gesetz angewandt werden können. An einigen anderen Stellen sind Eingriffe des Ministeriums ausreichend, ohne dass der Gesetzgeber bemüht werden muss.”
Über die Bürokratie des Beschaffungsamtes sagt der Sprecher der Verteidigungsindustrie: “So sollten etwa die vielen internen Erlasse und Vorschriften überprüft werden, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen regulatorischen Verhau an komplexen, typisch deutschen Anforderungen an militärisches Gerät, aber auch an internen Regularien für den Beschaffungsprozess geschaffen haben.”
In die gleiche Kerbe schlägt Ingo Gädechen, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Gremium “Sondervermögen Bundeswehr”. Probleme der Beschaffung lägen “in der präsidialen Struktur des BAAINBw. Die Entscheider-Ebene mit Prokura müsste vergrößert werden. Der Flaschenhals an der Spitze des Hauses ist einfach zu eng. Vorhandene Kompetenzen werden erkennbar nicht genutzt. Das frustriert kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und führt leider nicht zu der notwendigen Motivation, die in dieser Zeit dringend geboten ist.”
Die Hoffnung liegt auf Pistorius
Der neue Verteidigungsminister hat vor ein paar Tagen gesagt, “wir haben keine Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind, also verteidigungsfähig gegenüber einem offensiven, brutal geführten Angriffskrieg”. Er versprach aber jüngst, am Rande seines Besuchs in Litauen, der Stau bei der Wartung und Instandsetzung der “Leopard”-Panzer werde jetzt aufgelöst. Dazu meint Gädechen: “Wir müssen bei der Beschaffung in einen Modus schalten, der so ähnlich wie der ‘sofortbedingte Einsatzbedarf’ zu schnelleren Prozessen führt. Dazu zähle ich auch die freihändige Vergabe z.B. bei Aufträgen in der Munitionsbeschaffung.”
Atzpodien ist zweckoptimistisch: “Wir sind sehr zuversichtlich, dass Minister Pistorius jetzt die einschlägigen Hebel zur Verbesserung und Beschleunigung der Beschaffung im Blick hat und sie in die richtige Richtung umlegt.” Hierfür brauche er allerdings den Rückhalt aus seiner Regierung und aus der Gesellschaft. Noch immer sei die Vorgabe nicht erreicht, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung vorzusehen, um ohne Einschränkungen die innerhalb der NATO zugesagten Leistungen erbringen zu können.
Zeitenwende auch beim Beschaffungsamt?
Das BAAINBw begrüßt die von Kanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende. Sie sei geeignet, “die Folgen der finanziellen Unterversorgung der vergangenen Jahre aufzufangen, die durchgehende Finanzierung wesentlicher, mehrjähriger Großprojekte und deren Priorisierung nachhaltig abzusichern und damit die Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten zu stärken, um letztlich die Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung zu verbessern”. Man sehe sich bereits jetzt gut aufgestellt, das angekündigte Sondervermögen effektiv umzusetzen, sofern zügig die 1000 freien Stellen im Haus besetzt würden.
Man sei außerdem mit dem Verteidigungsministerium im Gespräch und unterbreite Verbesserungsvorschläge. Die Qualität dieser Vorschläge spiegele die rasche Umsetzung erster Maßnahmen seitens des Ministeriums wider, so die Anhebung der Direktvergabegrenze von 1000 auf 5000 Euro.
Da die meisten Aufträge jedoch ein größeres Volumen haben dürften, sieht auch Gädechens, das ehemalige Mitglied des Expertenrates für die Reform des BAAINBw, noch keine spürbare Verbesserung. Auf die Frage wie er das Amt heute umschreiben würde sagt er: “Da sich strukturell wenig verändert hat, stimmt die Beschreibung von 2019 – leider – auch heute noch: sehr groß, sehr komplex und in seiner Aufgabenvielfalt nicht stringent steuerbar”.
Source : Tages Schau