Krieg in Nahost, Russland auf dem Vormarsch. Aber der Haushalt der Ampel tut so, als seien die Zeiten vor allem eines: radikal normal. Man muss froh sein über die Zweifel an den Tricksereien.
Die Welt ist in Aufruhr. In Nahost könnte der Krieg endgültig zum Flächenbrand werden. In der Ukraine rückt Russland vor, genauso auf dem afrikanischen Kontinent. In den USA drohen Regierungen, die Deutschlands Sicherheit finanziell mehr denn je in deutsche Hände legen.
Die Bundesregierung – und mit ihr die Union – aber haushaltet, als liefen die Dinge wie immer, als sei alles: radikal normal.Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen.
Da ist etwa Christian Lindner, Bundesfinanzminister. Er verteidigte die nur minimal gestiegenen Verteidigungsausgaben am Sonntag damit, dass „kaum einer“ seiner Vorgänger in den letzten Jahren mehr für die Streitkräfte getan hätte. Der Verteidigungshaushalt müsse sich nun mal in diese ökonomische Situation einpassen.
Der Bundeskanzler kämpft für die Normalitätsimulation
Der Bundesfinanzminister hat immer klargemacht, was das für ihn heißt: Zurück zu den im Verhältnis niedrigeren Staatsausgaben vor Kriegen und Coronakrise – trotz Krieg und Coronakrise. Diesen Geist atmet auch der aktuelle Haushaltsentwurf.
Nein, das ist nicht Lindners Schuld allein. Gerade der Bundeskanzler ist ein Verfechter von Normalitätssimulationen.
Das mühsam erarbeitete „Weiter so“ der Ampel-Koalition in der Haushaltspolitik ist vor allem eines: alles andere als normal. Es ist, im Gegenteil, eine radikale politische Entscheidung.
Die Bundesregierung handelt gerade so, als würde sie morgens von der Feuerwehr aus dem Bett geklingelt, aber müde durch den Hörer antworten „Gleich, gleich, wir dreh’n uns nur noch mal um“.
Herzliche Grüße aus Normalistan!
Es ist eine besondere deutsche Manier, sich über abwegige oder allzu mutig erscheinende Ideen mit dem Hinweis „Absurdistan!“ zu ereifern. Meist ist es gemeint im Sinne von hinterwäldlerisch oder besonders radikal. Ja… besser Ruhe bewahren. Stichwort: 16 Jahre Angela Merkel. Deutschland. Man könnte „auf gut Deutsch“ sagen: Normalistan.
Olaf Scholz verkörpert diese Republik wie kein zweiter. Insofern bildet er mit Christian Lindner ein passendes Duo. Wo die FDP eine haushaltspolitische Normalität beschwört, die spätestens der russische Angriffskrieg auf die Ukraine weggefegt hat, klammern sich Scholz und seine SPD an die soziale Besitzstandswahrung. Kann sich jemand an die Bereitschaft erinnern, auch den Sozialstaat an die neue Zeit anzupassen? Dafür an das Veto der SPD-Fraktion gegen die Ausgabenwünsche des eigenen Verteidigungsministers?
Mit Tricks zum Bundeshaushalt 2025
Stattdessen trickste sich das Bundeskanzleramt zum Haushalt 2025. Hier kommen ein paar Milliarden aus alten Krediten hinzu, dort werden wacklige Buchungstricks angewandt, um die Schuldenbremse zu umgehen.
Verfassungsrechtlich ist das offenbar alles so heikel, dass der Bundesfinanzminister sich öffentlich von dem Plan distanziert. Ausgerechnet Lindners Experten werden in den nächsten Tagen darüber befinden, wie es weitergeht.
Angst? Nein. Ein Scheitern könnte eine Befreiung sein. Endlich ankommen in der neuen Zeit, den Bürgern reinen Wein einschenken, die Schuldenbremse reformieren, den Staat modernisieren, die Verteidigungskraft erhöhen.
Olaf Scholz ist der Meister des Machbaren, mehr nicht
Olaf Scholz ist doch der Verfechter des Machbaren. Im gegebenen Rahmen versucht er mit seinen Leuten, das aus seiner Sicht Bestmögliche herauszuholen. Wenn Union und FDP nun mal nicht mehr investieren wollen, gehe es eben nicht, sagt er. Die SPD würde ja, wenn sie nur könnte… Also, abwarten, weiterregieren?
Große Politiker vermögen mehr als das. Joe Biden, Scholz’ Freund und Partner, hat es doch vorgemacht: Sein (wenn auch später) Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur verändert die USA, verbreitert das Feld des politisch Möglichen, löst Zuversicht aus.
Doch für einen ähnlichen Befreiungsschlag hierzulande – politische Möglichkeiten gäbe es – bräuchte es mehr Mut, vielleicht sogar mal Draufgängertum, und ja, mehr Freude – gerade in düsteren Zeiten.
Wie geht es weiter mit der Ampel-Regierung? Mehr dazu lesen Sie hier
Christian Lindner und die Restlücke Warum der Bundeshaushalt 2025 doch nicht ganz fertig istDas große Gewusel hat begonnen Wie es jetzt mit dem Haushalt weitergeht
Auf Christian Lindner, den Bundesfinanzminister, treffen diese Attribute stärker zu als auf den Kanzler der Republik Normalistan. Vielleicht erinnert sich der Liberale an das, was einmal anziehend an ihm schien, was seine Partei auf elf Prozent hievte; wenn, ja, wenn seine Berater den Kanzlerplan tatsächlich verwerfen sollten.
Normal ist an diesen Zeiten längst nichts mehr. Diese Regierung tut nur so.
Source: Tages Spiegel