Zum Granada-Gipfel: Kommission über strategische Autonomie und politische Ziele

Vor dem informellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Granada am Freitag kommender Woche bringt die Europäische Kommission einen Debattenbeitrag zur Frage der strategischen Autonomie und inhaltlichen Prioritäten der EU ein. Zu der heute angenommenen Mitteilung sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen„Europa hat entschlossen auf ein sich rasch wandelndes geopolitisches und wirtschaftliches Umfeld reagiert. Angesichts dieser neuen Realität müssen wir unsere Fähigkeit stärken, Europas strategische Interessen zu schützen und unseren Bürgerinnen und Bürgern sowie unseren Partnern Sicherheit zu bieten.“

Der Granada-Gipfel findet 18 Monate nach Annahme der Erklärung von Versailles vom März 2022 statt. Damals, kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine, hatten die Staats- und Regierungschefs zu dem Angriff positioniert und Schlussfolgerungen für Europa gezogen. Die Mitteilung der Kommission ist eine Kombination aus Bilanz und Ausblick. Von der Leyens sagte: „Seit Versailles hält die EU Kurs und entwickelt sich zu einer resilienteren, wettbewerbsfähigeren und nachhaltigeren wirtschaftlichen Größe. Wir werden weiterhin zusammenstehen und die Beziehungen zu unseren Partnern und jenen, die unsere Anliegen und Interessen teilen, weiter vertiefen.“

Was wurde erreicht, wo gibt es noch Herausforderungen?

Die Mitteilung enthält eine Bestandsaufnahme der Errungenschaften und beschreibt die verbleibenden Herausforderungen in verschiedenen Bereichen: beim Aufbau einer widerstandsfähigeren, wettbewerbsfähigeren und nachhaltigeren Wirtschaft, dem Schutz der EU-Bürger und der Gewährleistung ihres Wohlergehens.

Weitere Anstrengungen sind u.a. hier erforderlich:

  • Schaffung eines innovativeren und stärker vernetzten Binnenmarkts,
  • Wahrung des inneren Zusammenhalts,
  • Förderung von Bündnissen mit internationalen Partnern,
  • Ausbau der Fähigkeit der EU, als Garantin für die Sicherheit der Region und der Menschen zu fungieren.

Die EU muss weiter daran arbeiten, Risiken für das ökonomische und industrielle Fundament zu mindern und es stärken, während sie gleichzeitig die wirtschaftliche Sicherheit der Union und ihr einzigartiges Sozialmodell schützt.

Im Folgenden ein Überblick, geordnet nach drei Bereichen:

  • Die Verteidigungsfähigkeit Europas stärken und dauerhaften Frieden in Europa schaffen

Die EU hat mutige Schritte unternommen, um ihre Verteidigungsdimension zu entwickeln und die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken. Mit dem Strategischen Kompass für Sicherheit und Verteidigung hat sie Maßnahmen ergriffen, um ihre Fähigkeit als Garantin von Sicherheit zu stärken. Die strategische Partnerschaft zwischen der EU und der NATO wurde mit der Annahme der dritten Gemeinsamen Erklärung mit der NATO im Januar 2023 erheblich gestärkt, indem sie auf neue Bereiche der Zusammenarbeit wie neue disruptive Technologien, Klima und Verteidigung sowie den Weltraum ausgeweitet wurde. Mit Initiativen wie dem dreigleisigen Vorgehen zur Lieferung von einer Million Schuss Munition an die Ukraine hat die EU in dieser Form noch nicht da gewesene koordinierte Schritte unternommen, um die militärische Hilfe aufzustocken und sowohl die gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsgütern als auch die Munitionsproduktion über den EU-Haushalt zu fördern.

Während die Umsetzung des Europäischen Verteidigungsfonds Innovationen und ein kooperatives Vorgehen in der Verteidigungsindustrie der EU fördert, sind weitere Anstrengungen erforderlich, um die militärische Mobilität in der gesamten EU zu stärken, die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung zu festigen und Cyber- sowie hybride Bedrohungen zu bewältigen. Die Kommission wird eine europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie vorlegen, um den künftigen Rahmen für die Verteidigungszusammenarbeit abzustecken.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstreicht auch, wie wichtig die Erweiterung der EU ist. Die EU unterstützt weiterhin alle Bewerberländer auf ihrem Weg zur Vollmitgliedschaft und wird die bisherigen Fortschritte im Rahmen ihres anstehenden jährlichen Erweiterungspakets bewerten.

  • Europas Energieversorgungssicherheit verbessern und die Klimakrise bewältigen

Die EU hat den Einfluss Russlands auf unsere Wirtschaft und Energieversorgung erheblich abgeschwächt, indem sie die Nachfrage verringert, die Energieversorgung diversifiziert und den Einsatz erneuerbarer Energien vorangetrieben hat. In der Zeit von August 2022 bis Juli 2023 verringerten die Mitgliedstaaten die Gasnachfrage um 17 Prozent.

Die überarbeitete Erneuerbare-Energien-Richtlinie veranlasst die Mitgliedstaaten zur Festlegung schnellerer und einfacherer Genehmigungsvorschriften, um den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch der EU bis 2030 auf 42,5 Prozent zu erhöhen.

Dank REPowerEU diversifizierte die Union bereits einen erheblichen Teil ihrer Energieversorgung und senkte den Anteil russischen Pipeline-Gases von 50 Prozent der gesamten Gaseinfuhren im Jahr 2021 auf weniger als 10 Prozent im laufenden Jahr. Die Öleinfuhren aus Russland sind von 27 Prozent auf 6 Prozent zurückgegangen, während die Kohleeinfuhren nun bei Null liegen – verglichen mit 46 Prozent im Jahr 2021.

Verbleibende Engpässe sollten vorrangig angegangen werden: Die Umgestaltung des Strommarkts wird die Einbindung erneuerbarer Energien weiter erleichtern und den Zugang zu erschwinglichem erneuerbarem anstelle von fossilem Strom gewährleisten. Die EU muss zudem die Energie-Verbindungsleitungen im Binnenmarkt verbessern und die Netze aufrüsten. Es besteht kein Anlass zu Selbstzufriedenheit.

Die Kommission hat ihr Bestreben bekräftigt, den Binnenmarkt zu vollenden, wobei ein Hauptaugenmerk auf der Durchsetzung der bestehenden Vorschriften und der Beseitigung von Hindernissen liegt, insbesondere im Dienstleistungssektor. Sie verfolgt nach wie vor eine ehrgeizige und robuste Handelspolitik und passt diese angesichts der zunehmenden geopolitischen Instabilität und Fragmentierung sowie der Klimakrise gleichzeitig an. Durch den Ausbau ihres Netzes von Handelsabkommen und die Vertiefung von Partnerschaften mittels flexibler Formen der Zusammenarbeit mit Drittländern wird sie resilienter und erschließt neue Möglichkeiten. Die EU geht die wirtschaftlichen Risiken und strategischen Abhängigkeiten entschlossen an und hat so unter anderem die nachstehend dargelegten Schritte zur Risikominderung in Schlüsselbereichen unternommen:

  • Mit dem vorgeschlagenen Gesetz über kritische Rohstoffe wird die EU ihren Zugang zu einer sicheren, diversifizierten, erschwinglichen und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen verbessern.
  • Das europäische Chip-Gesetz wird über Investitionen auf EU- und nationaler Ebene die Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten für Halbleiter in ganz Europa erhöhen.
  • Zur Förderung der Herstellung sauberer Technologien in der EU hat die Kommission die Netto-Null-Industrie-Verordnung im Zuge des Industrieplans für den Grünen Deal vorgeschlagen.
  • Nach den Erfahrungen aus der Pandemie verbessert die EU auch die Sicherheit der Arzneimittelversorgung.
  • Die EU hat erhebliche Fortschritte beim Aufbau einer digitalen Wirtschaft erzielt, die die Rechte und die Grundsätze für ein auf den Menschen ausgerichtetes digitales Zeitalter befördert.
  • Die Kommission hat die europäische Säule sozialer Rechte weiter umgesetzt.
  • Die EU hat weitere Maßnahmen ergriffen, um die Ernährungssicherheit sowie die Nachhaltigkeit und die Resilienz in diesem Bereich weltweit zu gewährleisten.
  • Im Rahmen der Strategie für wirtschaftliche Sicherheit wird derzeit eine Liste von Technologien mit potenziellen Anwendungen mit doppeltem Verwendungszweck erstellt, die für die wirtschaftliche Sicherheit von entscheidender Bedeutung sind, um die Risiken, die mit der Sicherheit dieser Technologien und möglichen einschlägigen Datenverlusten verbunden sind, zu bewerten und Abhilfemaßnahmen auszuarbeiten.‘
     
  • Öffentliche und private Investitionen fördern

Um die strategischen Prioritäten Europas umzusetzen und künftige Herausforderungen zu bewältigen, werden erhebliche zusätzliche öffentliche und private Investitionen erforderlich sein.

Die Aufbau- und Resilienzfazilität trägt dazu bei, die EU auf den Kurs eines nachhaltigen Wachstums zu bringen, indem sie Anreize für ehrgeizige Reformen und Investitionen schafft. Die kohäsionspolitischen Programme und InvestEU leisten einen Beitrag zu strategischen Prioritäten, so zum grünen und zum digitalen Wandel, zu Innovation und sozialen Investitionen und Kompetenzen sowie zur Unterstützung von KMU.

Der langfristige EU-Haushalt hat sich in einer von mehreren Krisen geprägten Zeit als flexibles Instrument erwiesen. Da der Spielraum für Flexibilität jedoch ausgeschöpft ist, hat die Kommission gezielte Anpassungen vorgeschlagen, damit mit dem EU-Haushalt weiterhin die wichtigsten unmittelbaren Ziele erreicht werden können.

Im Rahmen der gezielten Überprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens werden über die Plattform für strategische Technologien für Europa (STEP) bestehende EU-Instrumente zur Finanzierung von Investitionen in Deep Tech sowie digitale, saubere und Biotechnologien mobilisiert und gestärkt.

Öffentlichen Investitionen kommt eine entscheidende Rolle zu, wenn es gilt, das mit innovativen Vorhaben verbundene Risiko zu verringern und Marktversagen zu beheben. Daher muss dringend eine Einigung über die vorgeschlagene Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung erzielt werden, um angemessen auf die anstehenden Herausforderungen reagieren zu können und für die künftige nationale Haushaltspolitik Klarheit und Vorhersehbarkeit zu gewährleisten.

Da der Großteil der Finanzmittel für die wichtigsten Prioritäten der EU vom Privatsektor bereitgestellt werden muss, ist die Schaffung eines investitionsfreundlichen Unternehmensumfelds von entscheidender Bedeutung. Die Kommission setzt ihre Anstrengungen zur Entwicklung tiefer und integrierter Kapitalmärkte fort, um die Bankenunion zu vollenden und einen wirksamen Rahmen für ein nachhaltiges Finanzwesen zu schaffen.

Hintergrund

Am 10. und 11. März 2022, kurz nachdem der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die regelbasierte Ordnung erschüttert hatte, kamen die Staats- und Regierungschefs der EU in Versailles zusammen. In der Erklärung von Versailles haben die Staats- und Regierungschefs ihren Beschluss festgehalten, dass die EU mehr Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen, die Verteidigungsfähigkeiten stärken und weitere Schritte zum Aufbau europäischer Souveränität, zur Verringerung von Abhängigkeiten und zur Gestaltung eines neuen Wachstums- und Investitionsmodells unternehmen wird. Die Erklärung stellt eine umfassende kollektive Agenda dar, um Europa stärker zu befähigen, seinen Beitrag zur regionalen und globalen Sicherheit zu leisten. Die heutige Mitteilung ist eine Bestandsaufnahme dessen, was 18 Monate später erreicht wurde, um eine resilientere, wettbewerbsfähigere und nachhaltigere Wirtschaft zu fördern und zu gestalten, die die EU-Bürgerinnen und -Bürger schützt und ihr Wohlergehen gewährleistet. Die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU findet am 6. Oktober in Granada statt.

Quelle : Germany Representation

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