Woran Abschiebungen Scheitern


Mehr als 220.000 “vollziehbar ausreisepflichtige Personen” leben in Deutschland. Aber nur wenige werden abgeschoben. Jeder einzelne Fall beschäftigt Ausländerbehörden, Landes- und Bundespolizei – oft auch mehrfach.

Es ist der 18. Dezember 2024, als in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Wünsdorf südlich von Berlin Polizisten in zivil vier Menschen aus Kenia festnehmen: drei Männer und eine Frau. Alle vier werden anschließend in zwei Minibussen der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburg (ZABH) nach Niedersachsen gebracht. Quer durchs Land, an die niederländische Grenze, wo sie wiederum von Bundespolizisten an ihre niederländischen Kollegen übergeben werden. Die Niederländer schicken die vier Kenianer dann zur dortigen Ausländerbehörde.

Ein regelmäßiges Prozedere nach dem sogenannten Dublin-Verfahren. Dabei werden Menschen in denjenigen europäischen Staat abgeschoben, in den sie als erstes eingereist sind. Dort – in diesem Fall in den Niederlanden – soll ihr Asylantrag geprüft und weiter bearbeitet werden. Bis ihr Fall entschieden ist, können sie sich weiter frei bewegen. Das Ganze ist personell und zeitlich sehr aufwendig, beschäftigt in Deutschland Ausländerbehörden, Landes- und Bundespolizei.

Der erste Kenianer ist nach rbb-Recherchen schon am Folgetag wieder in Wünsdorf: Schneller noch als die Mitarbeiter aus dem Rückführungsteam der Zentralen Ausländerbehörde, die sich bei der über 1.000 Kilometer langen Fahrt an Ruhezeiten halten müssen. Die beiden anderen Männer aus Kenia reisen in der ersten Januarwoche wieder ein. Sie haben hier ihre Unterkunft, bekommen in Deutschland weiter Unterstützung.

System mit einem “strukturellen Grundproblem”

Doreen Rasper, eine Landesbeamtin aus dem “Team Rückführung” der ZABH spricht in Bezug auf die Dublin-Abschiebungen von “Irrsinn”. Ihr Chef, Behördenleiter Olaf Jansen, bestätigt: “Dafür so einen Aufwand zu treiben, macht wirklich keinen Sinn.” Auch sei die Frage bisher nicht beantwortet, wie deren Wiedereinreise verhindert werden könne. Aber seine Behörde muss die europarechtliche Dublin-Verordnung umsetzen. Auch wenn sie für personelle Engpässe bei den Landespolizeien und im Team von Rasper sorgt. Wer mehr Abschiebungen will, meint Rasper, der muss ihr auch mehr Kollegen zur Seite stellen.

Behördenleiter Jansen sieht in dem Abschiebesystem ein “strukturelles Grundproblem”. Abgeschoben würden häufig “die Falschen”, diejenigen, die leicht zu fassen seien, vor allem Familien, deren Kinder zur Schule gehen, und die deshalb nicht abtauchen können. Ebenso trifft es Menschen, die bereits gut integriert sind, die arbeiten gehen.

“Sie können mit Abschiebungen keine Migration steuern, aber sie sind wichtig, um den Rechtsfrieden wieder herzustellen”, sagt Jansen. Er wünscht sich, Abschiebungen für Straftäter und Integrationsverweigerer leichter zu machen.

Herkunftsländer blockieren Abschiebungen

“Abschiebungen sind sehr aufwendig, sehr teuer, auch sehr schwierig”, sagt Jansen im Interview mit dem rbb. Viele Asylbewerber kommen ohne Pass nach Deutschland, bei anderen laufen die Pässe während ihres Verfahrens ab. Meistens würden die Abschiebungen dann an den Herkunftsländern scheitern, die die Menschen nicht zurücknähmen oder keine Pässe für Abzuschiebende ausstellen. Deshalb seien Abschiebungen beispielsweise in den Iran oder in zahlreiche afrikanische Länder gar nicht möglich.

Auch nach Russland wird seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine nur in schwerwiegenden Einzelfällen abgeschoben, über Drittstaaten wie Georgien oder Serbien. 2024 waren es nach Auskunft des Bundesinnenministeriums 66 Personen. Insgesamt kommt es dadurch zu der großen Zahl an Geduldeten unter den vollziehbar ausreisepflichtigen Personen (2024: 178.512 geduldete von 220.808 ausreisepflichtigen Personen, Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).

Warnungen von Unterstützernetzwerken

Andere Hemmnisse gründen auf den Unterstützernetzwerken für Flüchtlinge, deren Mitglieder vor Abschiebeflügen warnen. Im Internet werden Daten und Flugziele in einem sogenannten Abschiebe-Alarm veröffentlicht. Die Informationen scheinen aus Systemen der an den Abschiebungen beteiligten Behörden abzufließen – bislang ohne strafrechtliche Konsequenzen.

Nach diesen Warnungen tauchen vollziehbar Ausreisepflichtige aus den betroffenen Herkunftsländern immer wieder kurzfristig ab und werden dabei häufig von Menschen aus den Netzwerken der “No Border”-Bewegung unterstützt.

Fast ein Fünftel aller Abgeschobenen sind Dublin-Fälle

Nach einer aktuellen Umfrage von rbb24 Recherche unter den Bundesländern wurden im vergangenen Jahr 19.729 Personen aus Deutschland abgeschoben, darunter 3.865 Personen (19,6 Prozent) nach dem sogenannten Dublin-Verfahren in andere EU-Staaten, wo sie vor der Einreise nach Deutschland bereits einen Asylantrag gestellt hatten.

Allein in Brandenburg kehren nach rbb-Informationen rund 72 Prozent dieser Fälle nach vier Wochen wieder ins Land zurück. Andere Bundesländer machen dazu keine Angaben, derartige Fälle würden nicht statistisch erfasst, heißt es immer wieder.

In Brandenburg wurden im vergangenen Jahr 233 Personen abgeschoben, 722 vollziehbar ausreisepflichtige Personen sind freiwillig ausgereist. Der Gesamtzahl von 955 sogenannter Rückführungen stehen dort nach Informationen von rbb24 Recherche im selben Jahr 349 Wiedereinreisen gegenüber (36,5 Prozent).

Bund und Länder fördern freiwillige Ausreisen

Freiwillige Ausreisen erfolgen ohne Zwang, Reiseplanung und Kosten werden durch die Ausländerbehörden übernommen. Die Bundesländer zahlen eine Reisebeihilfe, die sich von Land zu Land unterscheidet. Hinzu können noch Zuschüsse aus einem Bundesprogramm kommen. Nach Ablauf einer Frist können die freiwillig Ausgereisten dann auch wieder als Touristen nach Deutschland einreisen. Das alles soll freiwillige Ausreisen attraktiv machen.

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