Wie Wagenknecht Und Díaz Die Europäische Linke Aufmischen

Fast zeitgleich haben zwei Frauen die etablierten Linksparteien ihres Landes mit neuen Bündnissen aufgemischt: Sahra Wagenknecht in Deutschland und Yolanda Díaz in Spanien – ihr rascher Aufstieg zeigt, wie sehr sich die Linke nach neuen Führungsfiguren sehnt.

Ähnlich wie die Linkspartei vollzog auch spanische Podemos – in etwa das Pendant zur Linken – diese Woche offiziell die Trennung von Díaz und ihrer Sammlungsfraktion Sumar.

Parallel dazu hatte sich auch die Fraktion der Linken im Bundestag am Mittwoch aufgelöst, nachdem Sahra Wagenknecht die Partei zusammen mit neun anderen Abgeordneten verlassen hatte, um das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), zu gründen.

Im Moment sieht es so aus, als ob der Austritt von Wagenknecht und Díaz die traditionellen linken Parteien ihres Landes an den Rand gedrängt und die politische Landschaft in Deutschland und Spanien mindestens temporär verändert hätten.

Mit derzeit 3 Prozent der Stimmen laut aktuellen Umfrageergebnissen würde die Linkspartei bei der nächsten Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, während BSW bei 7,8 Prozent liegt.

In Spanien unterdessen hat Sumar die einst mächtige Podemos aus der gemeinsamen Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten gedrängt und gleichzeitig progressive Wähler für sich gewonnen. In jüngsten Umfragen erreicht die Partei 8 Prozent, während Podemos auf einen historischen Tiefstand von 2 Prozent gefallen ist.

Den Protagonistinnen sind die parallelen Trends in beiden Ländern nicht entgangen.

„Gemeinsamkeiten sehe ich in den Konflikten über den richtigen Kurs, den linke Parteien einschlagen sollten, die wohl auch in Spanien zur Gründung neuer Parteien beigetragen haben“, sagte Wagenknecht gegenüber Euractiv über Díaz‘ Sumar-Plattform.

Die politischen Ideologien der beiden Frauen sind dabei sehr unterschiedlich – Díaz zählt sich zum progressiven Lager, Wagenknecht sieht sich als „linkskonservativ“.

Doch ihre schnellen Aufstiege zu weitläufiger Bekanntheit und Strahlkraft zeugen von einem Vakuum an charismatischen Führungsfiguren und starken Bewegungen im linken Spektrum Europas.

Von innen anfangen

Wagenknecht war kurz vor dem Zusammenbruch der DDR als „Trotzreaktion“ in die SED eingetreten, der Vorgängerpartei der Linken. Als Führungsfigur des orthodox-kommunistischen Flügels stieg Wagenknecht in den 90ern in der Nachfolgepartei PDS schnell in den Parteivorstand auf – zum Ärger von Gregor Gysi, dem damaligen Parteivorsitzenden, der sie aus dem Vorstand drängte, weil sie seiner Ansicht nach zu radikal war.

Wagenknecht behielt jedoch ihren Einfluss und kehrte bald zurück. Nach der Fusion der PDS mit der WASG und Umbenennung in Die Linke, konnte sich Wagenknecht erst als Europaabgeordnete und dann als Bundestagsabgeordnete etablieren.

Díaz ging einen ähnlichen Weg. Auch sie war zunächst Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens.

Von 2007 bis 2017 bekleidete sie innerhalb der Izquierda Unida, einer kommunistischen Sammlungsallianz, mehrere politische Ämter auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.

Nach ihrem Beitritt zu Podemos im Jahr 2019 wurde sie vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez (PSOE) im Jahr 2020 zur Arbeitsministerin der Koalitionsregierung zwischen PSOE und Podemos ernannt.

Ins Rampenlicht treten

Einmal im Rampenlicht machte Wagenknecht sich auch einer breiteren Öffentlichkeit schnell mit kontroversen, aber rhetorisch brillanten Auftritte bekannt. Sie führte die Linke in zwei Bundestagswahlen – 2013 und 2017 – und war zeitweise Oppositionsführerin.

Ihren ersten Auftritt als sozialkonservative Linke hatte sie während der Flüchtlingskrise 2015, als sie sich offen gegen die liberale Politik der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel aussprach.

Ihre Rolle als migrationspolitische Rebellin löste denn auch jahrelange öffentliche Auseinandersetzungen mit verschiedenen Parteivorsitzenden der Linken aus, denen ihre Positionen zu rechtslastig waren.

Nicht zuletzt die schwindende Basis innerhalb der eigenen Partei brachte Wagenknecht nach Meinung von Insidern dazu sich zum ersten Mal einer alternativen Gruppierung zuzuwenden. Die berüchtigte linke Sammlungsbewegung ‚Aufstehen‘ zerfiel jedoch schnell aufgrund fragwürdiger Experimente mit künstlicher Intelligenz und erbitterter Machtkämpfe.

Wagenknecht stieß zum ersten Mal an die Grenzen dessen, was sie mit ihrem öffentlichen Charisma erreichen konnte. Unter einem Burnout leidend zog sich Wagenknecht aus der Fraktionsführung der Linken zurück.

Auch Díaz‘ Amtszeit als Arbeitsministerin schärfte ihr öffentliches Profil. Sie führte die Verhandlungen zur Erhöhung des Mindestlohns und verhinderte während der COVID-19-Pandemie Massenentlassungen.

Als der ehemalige Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias im Mai 2021 ankündigte, sich aus der Politik zurückzuziehen und seinen Posten als Vizepräsident in der Regierung aufzugeben, ernannte er Yolanda Díaz zu seiner politischen Nachfolgerin – eine Entscheidung, die er der Presse mitteilte, ohne Díaz zu konsultieren.

Díaz wollte jedoch die Führung nicht übernehmen, was zu internen Auseinandersetzungen mit der Generalsekretärin der Partei, Ione Belarra, und Irene Montero, der damaligen Ministerin für Gleichstellung, führte.

Doch während Podemos in Umfragen immer schlechter abschnitt, stieg Díaz‘ individuelle Popularität weiter an – zum Teil aufgrund ihrer Arbeitsreform von 2022, die unbefristete Arbeitsverträge förderte und prekäre, befristete Arbeitsplätze einschränkte.

Den richtigen Moment abwarten

Díaz‘ großer Moment für den Absprung kam im Juli 2022. Anders als bei Wagenknecht erwies sich dabei die Strategie einer konsensorientierten und parteiübergreifenden Sammlungsbewegung für die Arbeitsministerin als perfekte Strategie.

Nach monatelangen Vorbereitungen rief sie Sumar ins Leben  – eine Plattform, die alle linken Kräfte in Spanien mit Ausnahme der Sozialisten (PSOE) zusammenbrachte und deren Spitzenkandidatin sie im April wurde.

Ihre ehemalige Partei Podemos war die letzte, mit der Díaz eine Einigung zur Zusammenarbeit erzielen konnte.

Nicht zu Unrecht trieb Podemos dabei die Sorge an, dass man verdrängt werden könnte. Nach dem Beitritt kam es zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen der Podemos-Spitze und Díaz über die Beteiligung der Partei und die Zuteilung der Spitzenposten, was schließlich im Austritt von Podemos aus Sumar gipfelte.

Nach den Parlamentswahlen im Juli zeigte Díaz ihre harte Seite, legte bei den Regierungsverhandlungen ein Veto gegen Irene Montero von Podemos als Ministerin ein, woraufhin die Partei komplett aus dem neuen Kabinett ausgeschlossen wurde.

Das Tischtuch war offiziell zerschnitten.

Anders als Díaz hatte sich Wagenknecht innerhalb der Linken von Anfang an als Rebellin innerhalb der Opposition positioniert und anders als bei der schleichenden Trennung von Podemos und Sumar vollzog sich Wagenknechts Abschied ungleich ruppiger.

Für sie kam der richtige Zeitpunkt Anfang 2023. Inmitten sinkender Beliebtheitsheitswerte der Ampel-Koalition und steigender Lebenshaltungskosten als Folge von Russlands Angriffskrieg machte Wagenknecht mit ihrer ‚Demonstration für den Frieden‘ Schlagzeilen.

Von Seiten der Parteiführung und der Medien hagelte es Kritik für die Teilnahme pro-russischer und rechter Kräfte – aber Wagenknecht sah eine Marktlücke.

„In Deutschland wissen viele Menschen angesichts der hohen Preise für Energie und Lebensmittel nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Sie sind wütend über die Politik der Ampel-Regierung“, erklärte sie gegenüber Euractiv.

Die Linke werde dabei nicht mehr „als konsequente Opposition wahrgenommen“, sagte sie, was sie darauf zurückführte, dass die Partei sei den Grünen zu ähnlich geworden sei und sich angeblich um Klima- und Genderpolitik mehr als um soziale Gerechtigkeit sorge.

Nach monatelangen Gerüchten kündigte sie schließlich im Oktober ihren Austritt aus der Partei und die Gründung von BSW an.

„Mit der neuen Partei werden wir [soziale Gerechtigkeit, bessere Löhne, Migration und Frieden] auf die Tagesordnung setzen und damit eine Lücke im Parteiensystem füllen“, erklärte sie.

Mit ihrer konservativen, euroskeptischen Agenda liegt Wagenknecht dabei ideologisch weit von Sumar entfernt. Doch das sieht sie nicht als den entscheidenden Unterschied.

„Den größten Unterschied sehe ich darin, dass Frau Díaz sich nicht in der Opposition, sondern als Ministerin einer Regierung profiliert hat“, gibt sie an; Díaz machte sich mit Gesetzen einen Namen, Wagenknecht als Rebellin.

Wagenknecht zieht dabei vor allem auch Wähler der AfD an, wie jüngere Studien zeigen. Ihrer Partei hat ihr Abgang aber trotzdem noch nicht zu entscheidendem Auftrieb verholfen.

Frische Namen und Strukturen scheinen es zu sein, nach denen sich die Linke in Europa gesehnt hat.

Quelle : EURACTIV

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