Bei einer Vertrauensabstimmung im polnischen Parlament dürfte die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die keine Parlamentsmehrheit hat, abgewählt werden. Damit wäre der Weg frei für ein neues Kabinett des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk.
Der von seinem Parteikollegen, Präsident Andrzej Duda, ernannte Premier Mateusz Morawiecki von der PiS wird am Montag die Rede zum Regierungsprogramm halten. Da die PiS jedoch nach den Wahlen im Herbst über keine Mehrheit im neuen Parlament verfügt, sind seine Chancen auf eine Vertrauensabstimmung illusorisch.
Sollte Morawiecki die Wahl nicht gewinnen, wird das Parlament über den Kandidaten der neuen Mehrheit, Donald Tusk, abstimmen. Seine Regierung besteht aus drei Gruppen: der bürgerlichen Koalition (KO, EVP/S&D), dem zentristischen Dritten Weg (Renew/EVP) und der Linken (S&D/Linke).
Während ihrer achtjährigen Regierungszeit kam es immer wieder zu Spannungen zwischen der PiS und der Europäischen Kommission. Dabei ging es insbesondere um die polnische Justizreform, die nach Ansicht der Kommission gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt.
Tusk war fast zwei Amtszeiten lang, von 2007 bis 2014, Ministerpräsident Polens. Danach übernahm er das Amt des EU-Ratspräsidenten, das er bis 2019 innehatte.
Tusk warb im Wahlkampf damit, Polen „zurück nach Europa“ zu bringen, indem er die umstrittensten Reformen der PiS rückgängig macht. Dazu gehören Reformen im Justizwesen, die der EU-Gerichtshof für rechtswidrig erklärt hat, oder die staatliche Einflussnahme auf die Medien.
Selbst wenn Morawiecki die Vertrauensabstimmung verliert, bleibt er jedoch übergangsweise Premierminister, bis Tusk offiziell vom Präsidenten ernannt wird. Dies könnte noch einige Tage dauern.
Gemäß der polnischen Verfassung kann der Präsident die vom Parlament gewählte Regierung nicht ablehnen, wenn sein eigener Kandidat die Vertrauensabstimmung nicht gewinnt.
Zum ersten Mal in der Geschichte Polens wird die Parlamentssitzung am Montag auch in einem Warschauer Kino zu sehen sein.
Das Angebot spiegelt ein neues Phänomen in der polnischen Gesellschaft wider: Ein schnell wachsendes Interesse an der Arbeit des Parlaments. Manche sprechen von „Sejmflix“, in Anlehnung an den Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, und die beliebte Streaming-Plattform Netflix.
Einer der Gründe, warum das Parlament zur neuen Unterhaltung für die Polen geworden ist, ist der neue, charismatische Parlamentspräsident Szymon Hołownia. Aber auch die emotionalen Aussagen der Abgeordneten und die häufigen Streitigkeiten zwischen den Parteien tragen dazu bei.
Quelle : EURACTIV