Deutschland und die EU wollen nicht mehr, dass der Gasverkauf Putins Krieg finanziert. Doch bei Flüssigerdgas endet die Entschlossenheit. Das kommt weiter in die EU, und am Export verdient Deutschland sogar mit.
Die “Amur River” ist ein Schiff der sogenannten Eis-Klasse, ausgerüstet für besonders ruppige Seerouten. Sie gehöre zu einer “Flotte von hochmodernen LNG-Tankern”, schreibt das Unternehmen, das die Kontrolle über eben diese Schiffe hat, auf seiner Internet-Seite. Aktuell liegt die “Amur River” vor der belgischen Küste, in wenigen Tagen könnte sie im Hafen Zeebrügge russisches LNG, also Flüssigerdgas, aufnehmen und nach Indien bringen.
Soweit ein ganz gewöhnlicher Vorgang auf dem globalen Energiemarkt? Mitnichten. Gehört doch die “Amur River” dem Unternehmen SEFE (Securing Energy for Europe), das ursprünglich als Gazprom Germania Teil des russischen Gaskonzerns Gazprom war, nach Russlands Angriff gegen die Ukraine aber von der Bundesregierung verstaatlicht wurde.
Es ist erklärtes Ziel der Koalition in Berlin, von Gas und Öl aus Russland unabhängig zu sein und dadurch nicht mehr Wladimir Putins Kriegskasse zu füllen. Doch der aktuelle Fall der “Amur River” zeigt beispielhaft, wie schwierig es ist, politische Ansprüche und die Realität in Einklang zu bringen.
Wirtschaftlich geboten?
Warum beteiligt sich ein Unternehmen in Händen des deutschen Staates an einem Handel mit russischem Gas? Das Unternehmen verweist auf eine 2012 geschlossene Vereinbarung, auf Abnahme- und Lieferverpflichtungen. Laut SEFE müssten die Liefermengen auch dann bezahlt werden, wenn sie nicht abgenommen und nach Indien transportiert würden: “Ein solches Vorgehen wäre wirtschaftlich nicht zu vertreten.” Für das laufende Geschäftsjahr wird mit noch acht Lieferungen gerechnet.
Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage, man könne zum operativen Geschäft und zu Vertragsgestaltungen keine Stellung nehmen. Allerdings sei der Import von russischem LNG nach Europa nicht sanktioniert, ebenso der internationale Weitertransport und Verkauf von LNG. Deutsche Häfen oder Terminals seien nicht berührt.
Philipp Steinberg, Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium, schreibt beim Kurznachrichtendienst X: “Es handelt sich um einen Altvertrag, den SEFE auf verschiedenen Wegen loszuwerden versucht hat.” Mit bestimmten Fakten müsse man umgehen, unabhängig davon, dass es “so schnell wie möglich beendet werden müsse”.
Von Zeebrügge nach Deutschland
Auch wenn in diesem Fall russisches LNG nicht in die EU-Gasnetze und somit nicht nach Deutschland kommt: Genau das passiert auch – und nicht selten. Regelmäßig kommen Tanker aus Russland im belgischen Zeebrügge an und liefern das begehrte Flüssigerdgas. In Belgien bleiben davon nicht einmal drei Prozent. Ein Großteil geht weiter nach Deutschland.
Die belgische Energieministerin bedauert das, sagt im Interview mit der Zeitung “De Standaard” aber auch: “Mit der Rolle von Zeebrügge zeigt Belgien Solidarität mit anderen europäischen Ländern.”
Die Einnahmen landen überwiegend in Russland – zum Beispiel bei Novatek, das erst im März eine neue LNG-Großanlage eingeweiht hat. Präsident Putin war höchstpersönlich zu Besuch. LNG statt Pipeline-Gas ist jetzt die Devise.
Die Gewinne steigen, auch durch die Nachfrage aus EU-Staaten, die momentan 52 Prozent des russischen LNG kaufen. Putin nennt die LNG-Projekte außerordentlich wichtig. Sie würden es erlauben, wichtige Anteile am weltweiten LNG-Markt zu erobern.
Nur vier Prozent – oder noch vier Prozent?
Der derzeit größte LNG-Markt für Russland ist weiterhin die EU. Das Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel analysiert täglich die Gaslieferungen. Demnach bezieht Deutschland noch vier Prozent seines Gases aus Russland. Zahlen wie diese sind letztlich Schätzungen.
Von Milliardenbeträgen aus der EU für russisches LNG allein in diesem Jahr geht die Umweltorganisation Global Witness aus. Andreas Schröder, Marktanalyst bei ICIS, sagt: “Durch den Import von russischem Flüssigerdgas finanziert die EU indirekt natürlich auch einen Krieg Russlands mit.” Zwar hat sich die Abhängigkeit von russischem Gas in Europa drastisch verringert, dennoch profitiert Russland weiterhin von teuer verkauftem LNG-Gas.
Nicht auf Sanktionslisten
Juristisch sind diese Geschäfte nicht zu beanstanden: Die EU-Staaten haben zwar früh in ihrem fünften Sanktionspaket Bauteile für russische LNG-Anlagen auf ihre Listen genommen. Auf das Gas, das aus diesem Anlagen kommt, wollen oder können sie jedoch nicht verzichten.
Ist das alles in Ordnung für die Bundesregierung? Kürzlich sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums auf die Frage nach den LNG-Importen aus Russland: “Richtig ist, dass wir dafürhalten, russisches Gas auch als LNG nicht nach Deutschland zu importieren. Aber wie gesagt: Die Verträge sind von den Unternehmen geschlossen.”
Die Bundesregierung betont jetzt auf Anfrage, bei LNG Verträgen “für die deutschen, staatlich finanzierten LNG Terminals” hätten sich die beliefernden Unternehmen dazu verpflichtet, kein Flüssigerdgas aus Russland zu importieren. “Nach unseren Informationen”, so das Ministerium, werde diese Selbstverpflichtung auch eingehalten. Dort lande also “kein russisches LNG” an.
Zu den LNG-Importen aus Russland via Belgien erklärte das Ministerium, man könne “keine Auskunft geben zu LNG Terminals in anderen Ländern und auch nicht zur Frage von Weitertransporten bei LNG aus diesen Häfen und damit auch nicht zur Frage, ob russisches LNG damit indirekt in Deutschland landet”. In diese “privatrechtlichen Vertragsgestaltungen” habe die Bundesregierung “keinen Einblick”.
Es fließt weiter Geld nach Russland
Der Berater Jan Haizmann, der seit Jahrzehnten in der Gasbranche arbeitet, geht davon aus, dass russisches Gas “für große Teile von Europa noch von erheblicher Bedeutung” ist und auch für Deutschland “für einige Jahre” noch eine Rolle spielen wird. Und die langfristige Vereinbarung zwischen Russland und Indien, die das deutsche Unternehmen SEFE möglicherweise bald abwickelt, ist bis 2040 geschlossen.
Trotz aller Bekundungen, Putin kein Geld für Gas mehr in die Kasse spülen zu wollen: Enden würde das kurzfristig nur, wenn die Politik zu anderen Mitteln greift.
Quelle : tagesschau