Russische Soldaten beklagen sich offenbar immer häufiger über Zustände im Militär und Befehle für selbstmörderische Missionen. Videos belegen: Die Nerven der Kämpfer liegen blank.
Immer wieder tauchen zurzeit Videos auf, in denen sich russische Soldaten über schlechte Zustände in der Armee beklagen. Zuletzt berichteten unabhängige russische Journalisten auf ihrem Telegram-Kanal “Astra” von einem Video, das sie nach eigenen Angaben von Angehörigen russischer Kämpfer erhalten hatten. In dem Clip schicken rund 50 Soldaten einen verzweifelten Hilferuf an ihre Familien:
“Sie schickten uns ohne Munition und ohne Artilleriedeckung Richtung Bachmut – mit einem betrunkenen Kompaniechef”, werden die Männer zitiert. Der Bataillonskommandeur habe mit Hinrichtung gedroht, wenn die Befehle nicht befolgt würden. Nach der Aufnahme des Videos seien die Soldaten verlegt worden, zehn von ihnen vermutlich nach Bachmut, teilten ihre Verwandten “Astra” mit.
Einzelheiten der Angaben über den Einsatz der Truppe oder wann das Video genau aufgenommen wurde, ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Aber die Aussagen decken sich mit denen in ähnlichen Videos: Immer wieder hatten sich russische Soldaten in den vergangenen Monaten über Missstände an der Front beklagt. Und allein in den letzten Tagen tauchten mehrere Videos auf, die nahelegen, dass die Nerven bei vielen russischen Soldaten blank liegen:
Soldat stirbt bei Massenschlägerei in Militärlager
- Ein aktuelles Video, das von russischen Medien verbreitet wird, zeigt eine offenbar tödliche Massenschlägerei in einem Militärlager in der Nähe von Moskau. Dem Bericht zufolge sollten die Soldaten in den Ukraine-Krieg geschickt werden. Einer der Soldaten wurde demnach von seinen Kameraden und der Militärpolizei zusammengeschlagen und starb.
- Ein ebenfalls vor wenigen Tagen veröffentlichtes Video zeigt junge russische Soldaten, die zwei Tage in einer Grube ausharren mussten – als Bestrafung, weil sie sich weigerten, schlecht bewaffnet an vorderster Front zu kämpfen – nur “mit einem Gewehr gegen Panzer”, wie sie in dem Video sagen. Ein anderer Soldat beklagt sich, er hätte die Front seit neun Monaten nicht verlassen dürfen.
- Anfang Juli ging ein Video in Sozialen Netzwerken viral, in dem ein junger, russischer Wehrpflichtiger behauptete, Soldaten würden bei der Verteidigung Bachmuts zu “sinnlosen und selbstmörderischen” Gegenangriffen gezwungen und bei einer Weigerung bestraft.
Videos untergraben Moral russischer Truppen
Solche Videos kapitulierender oder flüchtender russischer Truppen machten auch den anderen Kameraden immer wieder deutlich, “dass deren Wohlergehen nicht die Priorität ihrer Regierung ist”, schreibt Politik-Berater Jason Jay Smart bei Twitter. Die Konsequenz: “Die Moral der russischen Truppen bricht zusammen”, so Smart.
Dazu kommt die derzeitige Krise innerhalb der russischen Kommandostruktur: Erst vor wenigen Tagen war unter anderem der russische General Ivan Popow entlassen worden, der mehrfach öffentlich auf Missstände hingewiesen und auf Moskaus Kriegsstrategie mit beißener Kritik reagiert hatte. In einer Sprachnachricht, die nach Popows Entlassung auf Telegram kursierte, deutete der General starke Spannungen innerhalb der Armee an. Insbesondere bei den Mannschaftssoldaten sei die Stimmung aufgrund vieler militärischer Entscheidungen von oben schlecht.
Krise innerhalb der Militärführung
Diese anhaltende Schwächung der russischen Militärführung werde weiter “zu moralischen Problemen führen”, schreibt das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington in einer aktuellen Analyse. Die am Samstag von nicht offiziellen russischen Quellen berichtete Entlassung des Generalmajors Wladimir Seliwjorstow und zuvor seines Kollegen Iwan Popow legten nahe, dass sich die “Zersetzung der russischen Befehlskette in der Ukraine beschleunigt”.
Damit nicht genug: Die Kontroversen über Gehorsamsverweigerung und Auswechselungen der Befehlshaber würden vermutlich bald auch innerhalb Russlands wahrgenommen, “da die russische ultranationalistische Milblogger-Gemeinschaft diese Entwicklungen weiterhin genau verfolgt”, so das ISW. Letztendlich würde so das angestrebte Ziel des Kremls, “als Manager des Krieges in der Ukraine zu erscheinen”, mehr und mehr untergraben.
Quelle : ZDF