Nach den US-Wahlen wollen Europas Staats- und Regierungschefs in Budapest Geschlossenheit demonstrieren. Doch die beiden wichtigsten Länder sind gerade mit sich selbst beschäftigt – und Gastgeber Orban hat eigene Pläne.
Es gab eine Tagesordnung, aber die wird kaum noch jemanden interessieren in Budapest. Das alles beherrschende Thema ist Donald Trumps Comeback. Damit müssten die Europäer erstmal fertig werden, heißt es in Diplomatenkreisen. Budapest könnte aber auch der Ort sein, das ist die optimistischere Sicht auf den Gipfel, an dem man Handlungsfähigkeit demonstriert. Fast 50 Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa, versammelt zum Groß-Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG), beziehen zwei Tag nach Trumps Triumph eine klare Position. Das wäre eine Möglichkeit.
Sollte sie Wirklichkeit werden, dann unter erschwerten Bedingungen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reist geschwächt an, er ist innenpolitisch kaum noch handlungsfähig. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hat wenige Stunden vor dem Gipfel seine Regierungskoalition platzen lassen. Entscheidend soll im Streit mit dem entlassenen Finanzminister Christian Lindner ein Thema gewesen sein, dass auch den Budapester Gipfel beschäftigen wird und damit alle Europäer: Wie kann die militärische Unterstützung für die Ukraine in Zukunft finanziert werden.
Europäische Politische Gemeinschaft
In Budapest werden 47 Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa erwartet. Neben den 27 EU-Staaten sind auch Länder wie Großbritannien, die Schweiz, die Ukraine und die Balkan-Länder dabei, ebenso Georgien, Armenien und Aserbaidschan.
Gastgeber Orban jubelt über Trump-Sieg
Zu den erschwerten Bedingungen für einen erfolgreichen Gipfel kommt hinzu, dass der ungarische Premierminister Viktor Orban der Gastgeber ist. Eigentlich sollte das keine große Rolle spielen, Gastgeber halten sich bei solchen Veranstaltungen im Hintergrund und sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Aber Orban wird sich die Chance nicht entgehen lassen, im Scheinwerferlicht maximaler internationaler Aufmerksamkeit seine ganz persönliche Agenda zu setzen.
Der Ungar ist seit langem bekennender Trump-Freund, entsprechend überschwänglich fielen seine Glückwünsche aus: “Vielleicht das größte politische Comeback in der politischen Geschichte des Westens” sei Trump gelungen, ein brillanter Sieg. Für die Welt bedeute das Hoffnung auf Frieden, jubilierte Orban. Dann folgte noch eine Ankündigung: “Wir werden die kriegsbefürwortenden Kräfte besiegen”.
Die kriegsbefürwortenden Kräfte sind aus Orbans Sicht nicht die Russen, sondern die Unterstützer der Ukraine. Trump dagegen versprach im Wahlkampf, den Krieg in 24 Stunden beenden zu können. Orban selbst hatte das im Sommer auch schon versucht. Er hatte sich zum großen Ärger der anderen Europäer selbst mit einer Friedensmission beauftragt, allerdings ohne sichtbaren Erfolg. Was im Sommer noch schief ging, könnte nach dem klaren Wahlsieg von Trump andere Dimensionen bekommen.
Ungleiche Lastenverteilung bei Ukraine-Hilfe
Für europäische Diplomaten liegt in der Achse Orban-Trump die zersetzende Gefahr, dass die Allianz gegen Wladimir Putins Eroberungskrieg von zwei Seiten in die Zange genommen wird: Von Washington aus, wo die Republikaner in diesem Jahr schon monatelang jede Waffenlieferung an die Ukraine verhindern konnten. Und innerhalb der Europäischen Union selbst, weil Orban direkt nach der Wahl vieldeutig fragte, ob Europa die finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine wohl allein werde schultern können.
Das ist in der Tat die Frage, die in Budapest diskutiert werden muss, auch wenn sie nicht auf der Tagesordnung steht. Denn die Amerikaner leisteten unter Präsident Joe Biden den mit Abstand größten Teil der Militärhilfe für die Ukraine, rund die Hälfte der Waffen wurde von den USA gestellt oder finanziert. Ohne die Hilfe Washingtons, das analysierte der neue NATO-Generalsekretär Mark Rutte kurz nach seinem Amtsantritt im Oktober, würde es die Ukraine als souveränen Staat wohl nicht mehr geben.
Und wenn Trump diese Hilfen drastisch reduziert? Oder sogar ganz streicht? Die Frage steht im Raum beim EPG-Treffen – es wird ein erster Test für die Einigkeit auf dem Kontinent. Beim Thema Militärhilfe für die Ukraine könnte das sehr schnell konkret werden. Das Ungleichgewicht in der Lastenverteilung liegt nämlich nicht nur im transatlantischen Verhältnis, auch unter den Europäern gibt es extreme Unterschiede. Nur wenn große Länder wie Frankreich, Italien und Spanien, die sich bisher bei den Waffenhilfen zurückgehalten haben, mehr zu leisten bereit sind, kann sich der Anteil der Europäer nennenswert und spürbar für die Ukraine erhöhen.
Botschaft der Geschlossenheit an Moskau und Washington
Immerhin hat man sich nach dem Sieg von Trump schnell koordiniert: Gleich am Morgen telefonierten Scholz und Macron miteinander, Glückwünsche wurden abgestimmt und mit ganz ähnlicher Botschaft nach Washington übermittelt. Der Tenor: Man setzt auf gute transatlantische Zusammenarbeit, respektiert amerikanische Interessen, erwartet im Gegenzug aber auch Respekt vor europäischen Interessen. Der letzte Punkt dürfte eine Warnung gegen neue Zoll-Hürden sein: Sollte Trump sie setzen, so heißt es in Brüssel, müsse er mit empfindlichen Gegenmaßnahmen der EU rechnen.
Macron ist der Erfinder der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Wenige Monate nach Russlands Angriff auf die Ukraine rief er das neue politische Format ins Leben. Seine Begründung: Es sei die historische Pflicht nicht nur der EU, sondern aller Länder Europas, als Wertegemeinschaft zusammenzustehen. Das war als Signal an Putin gedacht, man wollte Geschlossenheit demonstrieren.
Gut zwei Jahre später geht es immer noch um Widerstandsfähigkeit gegen Russland. Aber es ist ein zweites Ziel dazugekommen, es geht auch um Geschlossenheit in Richtung Washington – der Wahlsieg von Trump hat dafür gesorgt und die lange sicher geglaubte transatlantische Partnerschaft infrage gestellt.