Im kommenden Jahr sollen in Venezuela Präsidentenwahlen durchgeführt werden. Die Vereinbarung hat aber einen entscheidenden Haken: Nicht alle Kandidaten dürfen antreten – auch die Favoritin der Opposition nicht.
Wieder und wieder haben sich die venezolanische Regierung und die Opposition in den vergangenen Jahren an den Verhandlungstisch gesetzt, um die Gespräche dann nach wenigen Runden wieder auf Eis zu legen oder abzubrechen. Jetzt aber haben die beiden Seiten überraschend eine Vereinbarung vorgelegt. Bei einem Treffen am Dienstag in Barbados einigten sich Vertreter der Regierung und der Opposition auf Wahlgarantien für Präsidentenwahlen im kommenden Jahr. Die Wahl soll in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 stattfinden und von internationalen Beobachtern überwacht werden, unter anderem der EU und den Vereinten Nationen. Das Treffen am Dienstag war das erste nach elf Monaten Eiszeit. Die Gespräche sollen zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt fortgesetzt werden.
Als Gegenleistung für die Wahlgarantien soll Washington bereit sein, weitere Ölsanktionen gegen Venezuela zu lockern, wie verschiedene Regierungsquellen beider Länder der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Die Öleinnahmen sind für Venezuelas Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Schon seit längerem gab es seitens der Regierung von Joe Biden Signale in diese Richtung. Eine Lockerung der Sanktionen könnte allerdings rückgängig gemacht werden, wenn Caracas die Vereinbarung bricht, so die Quellen.
Der Einigung in Barbados waren Verhandlungen zwischen Vertretern der venezolanischen Regierung von Präsident Nicolás Maduro und Gesandten aus Washington vorausgegangen. Seit vergangenem Jahr hatten sie sich mehrmals in Qatar getroffen, um einen Ausweg aus der politischen und wirtschaftlichen Krise in Venezuela zu finden, die bereits Millionen Menschen zur Flucht bewegt hat – viele Richtung Vereinigte Staaten. Dabei sollen sich die beiden Seiten darauf geeinigt haben, dass mindestens ein weiteres ausländisches Ölunternehmen venezolanisches Rohöl zur Schuldentilgung fördern darf, falls Maduro die Verhandlungen mit der Opposition wieder aufnimmt. Die Vereinigten Staaten haben seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder ein größeres Interesse am venezolanischen Rohöl, dessen wichtigster Abnehmer sie bis zu den Sanktionen waren.
Prominente Oppositionspolitiker dürfen nicht antreten
Noch sind allerdings längst nicht alle Hürden ausgeräumt für eine Wahl im kommenden Jahr. Venezuelas Regierung und die Opposition einigten sich darauf, dass jede Seite ihre Kandidaten nach ihren jeweils eigenen Regeln bestimmen kann. Allerdings hat der regierungsnahe Generalkontrolleur mehreren prominenten Politikern der Opposition die Ausübung öffentlicher Ämter verboten. Der Leiter der Verhandlungsdelegation der Opposition, Gerardo Blyde, forderte, den betroffenen Politikern „ihre Rechte“ zurückzugeben. Doch die Regierung lehnte ab. Wenn ein administrativer Ausschluss vorliege, dürften sie nicht kandidieren, sagte Jorge Rodríguez, der Leiter der Regierungsdelegation.
Die Opposition steht wenige Tage vor den internen Vorwahlen am kommenden Sonntag, bei denen sich die Oppositionsparteien erstmals auf einen einzigen gemeinsamen Kandidaten einigen wollen, vor einem Dilemma. Die laut Umfragen klare Favoritin ist mit Maria Corina Machado nämlich just eine dieser „Ausgeschlossenen“. Während andere, wie beispielsweise der zweifache Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles, ihre interne Kandidatur zurückgezogen haben, hält die 56 Jahre alte Machado daran fest. Es gebe keinen Ersatzplan für den Fall, dass sie die Vorwahl gewinne, obwohl es ihr untersagt wäre, ihre Kandidatur beim Wahlrat anzumelden, sagte sie. Die Frage könnte sich zu einem weiteren Spaltpilz der sehr zersplitterten und oft zerstrittenen Opposition entwickeln. Was passieren würden, wenn Machado die Vorwahlen gewinnt, dann aber nicht für die Präsidentenwahl antreten könnte, hat die Opposition bisher nicht dargelegt.
Für die Regierung wird aller Voraussicht nach Maduro zur Wiederwahl antreten, der seit 2013 im Amt ist. Seine Wiederwahl im Jahr 2018, die von der Opposition und zahlreichen Staaten in Amerika und Europa wegen des faktischen Ausschlusses der Opposition als widerrechtlich und als Scheinwahl verurteilt wurde, führten zu Sanktionen durch die Vereinigten Staaten. Sie richten sich in erster Linie gegen den venezolanischen Erdölsektor und den staatlichen Erdölkonzern PDVSA, der mit Exportverboten belegt wurde, sowie gegen hohe Funktionäre der Regierung und der Armee.
Die Opposition bildete eine „Parallelregierung“, an deren Spitze der damalige Parlamentspräsident Juan Guaidó stand, der anfänglich von zahlreichen Ländern auch als Übergangspräsident anerkannt wurde. Guaidó hatte jedoch nie die faktische Macht in Venezuela. Seine Figur verblasste zusehends. Inzwischen hat sich die internationale Gemeinschaft wieder der Maduro-Regierung zugewandt, wie die Verhandlungen mit der US-Regierung zeigen. Und die Opposition setzt wieder auf den Verhandlungsweg. Seit April lebt Guaidó mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten. Er steht bei den Vorwahlen am Sonntag nicht zur Wahl.
Quelle : faz